Tischgebete sind peinlich.
Zum Beispiel im Restaurant. Da betet eine Gruppe Christen vor der Mahlzeit - und schon verstummen die Gespräche an den Nachbartischen. Aller Augen schauen verstohlen zu den Betern hinüber. Als kämen sie von einem anderen Stern. Das habe ich selbst schon erlebt.
Eine andere Begebenheit ist mir erzählt worden: Da ist ein junger Mann zum ersten Mal bei den Eltern seiner Freundin zum Mittagessen eingeladen. Alles ist aufgetischt, alle haben Platz genommen, es sieht so aus, als könne es losgehen. Der junge Mann greift zu Messer und Gabel und möchte schon anfangen, als er etwas Seltsames bemerkt: Die Familie seiner Freundin hat die Hände gefaltet, die Blicke gesenkt, und der Vater spricht: Vater segne diese Speise uns zur Kraft und dir zum Preise.
Tischgebete sind peinlich. Zumindest für die, die nicht mitbeten.
Aber warum eigentlich? Warum sind Menschen peinlich berührt, wenn andere ein Tischgebet sprechen und sie nicht? Ganz einfach: Essen ohne Tischgebet ist verboten. Essen ohne Tischgebet ist illegal. Und wenn wir etwas Verbotenes tun, dann haben wir hinterher ein schlechtes Gewissen. Und bei uns in Deutschland haben wir allen Anlass, ein schlechtes Gewissen zu haben. Denn die meisten Mahlzeiten in unserem Land werden ohne Tischgebet eingenommen. Das heißt: die meisten Mahlzeiten hierzulande sind illegal.
In der Bibel lesen wir: „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.“ (Ps 24,1)
Die Erde mit all ihrem Zubehör gehört nicht uns. Und sie gehört übrigens auch nicht unseren Kindern. Sie gehört Gott dem Herrn. Und wir sind nur Gäste auf Erden. Wenn ich bei jemandem zu Gast bin, werde ich ganz bestimmt nicht einfach so dessen Kühlschrank öffnen und mir was in den Mund stopfen.
Aber genau das tun wir doch: Wir bedienen uns an Gottes Schöpfung ohne zu fragen und ohne zu danken. Das ist peinlich, denn „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.“
Im Judentum gilt deshalb die Grundregel: Wer ohne Gebet etwas von dieser Welt genießt, der begeht einen Diebstahl. Das bedeutet nun aber umgekehrt: Wer etwas von dieser Welt mit Gebet genießt, der darf das auch tun. Der Apostel Paulus ist da ganz auf der Linie seiner jüdischen Mütter und Väter. Im 1. Brief an Timotheus schreibt er: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ (1. Tim 4,4)
Es wäre also ganz einfach, die vielen illegalen Mahlzeiten in Deutschland zu legalisieren: Wir bräuchten uns einfach nur auf den guten alten Brauch des Tischgebetes zu besinnen. Wenn die ganze Familie vor der Mahlzeit inne hält und Gott dankt, dann wird die Mahlzeit geheiligt, dann kommt Gott selbst mit zu uns an den Tisch.