Woran erkennt man einen praktizierenden Christen?
Will man den unterschiedlichsten Untersuchungen und Forschungsergebnissen glauben, dann ist diese Frage ganz einfach zu beantworten: Unter praktizierenden Christen versteht man nämlich allgemein die, die am Sonntag zum Gottesdienst gehen.
Und wer der katholischen Kirche angehört bzw. aus ihrem Umfeld kommt, dem dürfte das auch recht einleuchtend sein, denn wer am Sonntag zur Kirche kommt, der erfüllt schließlich seine Pflicht. Nicht umsonst spricht man in der katholischen Kirche von einer Sonntagspflicht – der Gottesdienstbesuch ist also für viele Christen die Erfüllung einer (manchmal als lästig empfundenen) Pflicht gegenüber Gott.
Nur, wenn dem so ist, wenn das doch unsere Pflicht ist, dann frage ich mich, warum genau dieser Punkt im obigen Gleichnis nicht auftaucht!
Alles wird den Menschen in dieser Gerichtsszene vorgerechnet: die Kranken, die Alten, die Obdachlosen, die Gefangenen... - Aber steht da irgendwo: ''Ich habe Euch zur Kirche gerufen und Ihr seid nicht gekommen''?
Komisch, der Gottesdienst wird mit keinem Wort erwähnt. Das was immer wieder im Mittelpunkt steht, wenn wir an Religion und Kirche denken - in Jesu Gleichnis kommt es gar nicht vor. Das was uns so oft wie das Allerwichtigste überhaupt erscheint, das scheint bei Jesus nicht einmal eine untergeordnete Rolle zu spielen. Sollten wir uns da etwa tatsächlich so getäuscht haben?
Ja, in einem Punkt haben wir uns da gewaltig getäuscht. Sobald wir anfangen aus dem Gottesdienst eine (womöglich lästige?) Pflicht zu machen, sobald wir den Gottesdienst als eine Pflichtübung ansehen, da beginnen wir uns ganz gewaltig zu täuschen, da geraten wir auf einen Irrweg, ja, so möchte ich sagen: in eine Sackgasse.
Gottesdienst ist nicht zuerst unser Dienst an Gott. Sicher, Gott führt uns zusammen, aber doch nicht etwa, weil wir ihm da dienen sollen, weil er den Gottesdienst etwa notwendig hätte oder irgendetwas von uns brauchen würde. Oder glauben wir wirklich, dass wir Gott etwas geben könnten, was er nicht schon lange hat? Gott führt uns zusammen, damit wir Gemeinschaft untereinander und mit ihm haben ihn loben und ihm danken.
Gottesdienst, das ist zuallererst Gottes Dienst an uns. Gott schenkt sich uns, er schenkt uns die Feier unseres Lebens, damit wir leichter leben können, damit wir uns seiner Nähe versichern können, damit wir Punkte haben, an denen wir seine Gegenwart erleben, spüren und sinnenhaft erfahren können. DAS ist sein Dienst an uns: eine Hilfe zum Leben, eine Hilfe zum Feiern, eine Hilfe, damit es uns gut geht.
Der Dienst an Gott, unser Dienst diesem Gott gegenüber, der sollte also anders aussehen. Und wie, das sagt uns in aller Deutlichkeit das obige Gleichnis Jesu. Jesus macht uns dort unmissverständlich klar: Wirklicher Gottesdienst - das ist Dienst an meinem Mitmenschen. Den Kranken, den Alten, den Einsamen, den Hungernden den körperlich oder seelisch leidenden Menschen zu helfen, unseren Mitmenschen zu dienen, das ist wahrer und echter Gottesdienst. Denn was wir einem seiner geringsten Brüder und Schwestern getan haben, das haben wir wirklich ihm getan. Und daran werden wir letztlich gemessen.
Auf die Frage, welches denn das höchste Gebot sei, antwortet Jesus (vgl. Lk 10,27): Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten, wie dich selbst. Und das heißt in unserem Zusammenhang, wer seinen Nächsten aus dem Blick verliert, der kann zum Gottesdienst gehen sooft er will - in den Augen Jesu hat der am Ende lediglich etwas für sich selbst getan. Wem Gott wichtig ist, und wer diesem Gott wirklich dienen will, der kommt um Jesu Wort nicht herum. Denn Jesus macht uns deutlich, was wir tun müssen, wenn wir Gott dienen wollen, Jesus macht uns deutlich, was es wirklich heißt, unserem Gott zu dienen. Wer Jesus ernst nimmt, der weiß, dass Gottesdienst nicht zuerst in der Kirche stattfindet. Denn dem anderen zu dienen, seine Not zu lindern, das ist für Jesus der eigentliche, der wahre Gottesdienst – und dafür muss man hinaus auf die Straße, hinaus zu den Menschen, die uns und unsere Zuwendung brauchen. Amen.