''...und denn, denn stehste vor Gott dem Vater, stehste, der allens jeweckt hat, vor dem stehste denn, und der fragt dir ins Jesichte: Willem Voigt, wat haste jemacht mit dein Leben? Und da muss ick sagen - Fußmatte, muss ick sagen. Die hab ick jeflochten im Jefängnis, und denn sind se alle druff rumjetrampelt, muss ick sagen. Und Gott sagt zu dir: Jeh wech! sagt er! Ausweisung! sagt er! Dafür hab ick dir det Leben nich jeschenkt, sagt er! Det biste mir schuldig. Wo is et? Wat haste mit jemacht?''
Obiger Text stammt aus dem Schauspiel ''Der Hauptmann von Köpenick'' von Carl Zuckmayer: Der Schuster Wilhelm Voigt - vor allem in der unnachahmlichen Weise, in der Heinz Rühmann ihn gespielt hat – hat mich schon immer beeindruckt.
Die Lebensbilanz des Schusters Wilhelm Voigt und die Worte aus dem Epheserbrief – ein größerer Gegensatz lässt sich kaum denken. Was diese Worte ausdrücken, dazwischen liegen Welten – hier Liebe und da Ausweisung, hier Gnade und da Gefängnis, hier Himmel und da Fußmatten. Erschütternd, wie Wilhelm Voigt sein Leben sieht, ja, sehen muss. Von all dem Guten und der Güte, wovon im Epheserbrief in erhabenen Worten die Rede ist, hat er nichts mitbekommen, jedenfalls ist nichts geblieben. Sein Leben ist völlig schief gegangen – und schief gegangen ist auch, wie er Gott erfahren hat. Er kennt Gott nur als den Fordernden und Richtenden – nicht als den, der in Jesus Christus gerecht macht. Und das sagt er ehrlich und ernüchternd. Seine Lebensbilanz wird zur Lebensklage. Erschütternd und anrührend.
Sind es nur die Ehrlichkeit und Nüchternheit, die uns berühren und nachvollziehbar machen, was der Schuster Voigt sagt? Es ist, denke ich, mehr. Diese Gestalt - wirkt sie vielleicht deshalb so unglaublich glaubwürdig, weil etwas von Wilhelm Voigt in uns allen steckt?
Ja, so könnte man sagen: so sind wir Menschen eben: Wir sind zufrieden mit unserem Fussmatten-Dasein, wir lassen auf uns herumtrampeln, wir nehmen in Kauf bzw. lassen es geschehen, dass es uns und anderen so ergeht, wie Wilhelm Vogt.
Der Epheserbrief hält mir stattdessen die Gnade dagegen. So wie Paulus hier vom Himmel, vom Glauben, von Jesus Christus spricht, eröffnet er uns einen neuen, weiten Lebenshorizont. Wir werden im Himmel geerdet. Wir haben in Gott den Garanten unseres persönlichen und unseres gemeinsamen Lebens vor uns. Der Satz von der Gnade sagt ja etwas ganz anderes, als dass Gott so riesengroß und der Mensch so winzig klein ist, und dass es im Leben nur darum geht, dass der eine zum anderen sich herabbeugt und alle sich voreinander ducken müssen. Die Gnade will Menschen wachsam machen für das, was jenseits von unserem Handeln iegt. Die Gnade ist unverdient; sie ist ein Geschenk Gottes an uns, damit wir erwachsen werden im Glauben. Frauen und Männer, erwachsen geworden in solchem Glauben, können alles tun, weil sie wissen, dass ihr Tun nicht alles ist. Sie können Ich sagen, ohne alles nur von sich erwarten zu müssen. Eine Christin, ein Christ wissen sich beschenkt mit den Gütern und der Güte Gottes – und in diesem verliehenen, deshalb unverlierbaren Gutsein folgen sie den Spuren Gottes und lassen Gott Gutes durch sie wirken – zum Beispiel in ganzem Einsatz dafür, dass Fußmatten flechten nicht die Lebensbilanz der Menschen ist, die ihnen anvertraut sind und denen sie begegnen, sondern dass jeder Mensch aus Überzeugung sagen kann: ''Ich bin gewollt, geliebt und gebraucht von Gott.''