„Wir kennen uns doch?“
Ich stutze, stimmt, mein ehemaliger ...
Wir kennen uns schon lange, wir haben viel gemeinsam erlebt, Gutes, Lustiges, Nachdenkliches, Leid.
Wir haben gesprochen über die Welt mit ihren Geschehnissen, über das Dorf mit seinen Leuten, über uns und unsere Familien.
Wir haben sogar über uns selber gesprochen, warum wir so sind, wie wir sind.
Und jetzt?
Nach so vielen Jahren sehen wir uns wieder.
Wir kennen uns.
Wir umarmen uns, wir sind uns freundschaftlich gesonnen, wir kennen noch die Spitznamen, wir sind uns vertraut von früher.
Wir tauschen Informationen aus.
Der Beruf, der Werdegang,
die Heirat, die Frau hat, der Mann hat...
wir sprechen von unseren Kindern.
Wir sprechen von deren Karrieren.
Dann sprechen wir von unseren gemeinsamen Jahren.
Der Kindergarten.
Die Grundschule.
Die weiterführende Schule.
Der Abschluss.
Die Lehrer vor allem. Ja, da fällt uns eine Menge zu ein.
Weißt Du noch, der Pauker, wie hieß er noch,... ja, der... der hat doch immer...
Wir kennen uns.
Wir kennen die alten Erinnerungen.
Wir kennen die Eigenarten, der damaligen Menschen immer noch gut. Prägten sie doch unser Leben.
Während wir uns weiter austauschen, wird es mir mulmig.
Kennen wir uns?
Ich habe so viel erlebt in der Zwischenzeit!
Die Eheschließung, die Verwandtschaft, der Beruf, die Kinder, der Alltag.
Die Kinder kränkelten, ich habe Nächte an ihrem Bett durchgewacht. Besorgt, besiegen sie die Krankheit?
Ich musste den Beruf wechseln. Nichts war mehr so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Die Ehe hatte darunter gelitten.
Mein Hobby musste ich aufgeben, es war zu kostspielig.
Dringend neue Anschaffungen waren nicht immer möglich. Das Geld fehlte.
Mehrmals bin ich umgezogen. Ob ich wollte oder nicht.
Plötzlich werde ich in meinen eigenen Gedanken unterbrochen.
Wir kennen uns?
Darin prallen die Worte meines Gegenübers:
„Du hast Dich gar nicht verändert!“
Jetzt bin ich mir sicher.
Wir kennen uns...
nicht mehr.
„Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war.“ 1. Korinther 13.11