Diese Vision von dem kleinen Rinnsal, das da aus dem Tempel läuft und zu einem großen Strom wird, ist der Schluss einer langen Tempelvision, die Hesekiel erlebt hat. Zunächst stehen der Führer und Hesekiel vor der Tür des Tempels. Und da läuft Wasser unter der Tempeltür heraus. Das Wasser, das in dieser Vision die bedeutende Rolle spielt, kommt von Gott. Seine Gnade, seine Kraft, seine Geduld läuft aus seinem Tempel heraus in die Welt. Sie sehen den Fluss an und überall sind Bäume, auf beiden Seiten sind Bäume gewachsen, mitten in der Wüste ist es grün geworden. Der Bote erklärt ihm: der Fluss wird immer weiter gen Osten fließen, bis ins Tote Meer und da wird er das Salzwasser süß machen. Wo dieses Wasser auch hinkommt, es bringt Leben, es bringt Heilung, es macht gesund, es macht froh. Tiere werden leben. Im Toten Meer wird es wimmeln von Fischen, das Wasser wird gesund werden; ringsherum werden Fischer ihre Netze zum Trocknen auslegen, es gibt Fischarten, so viele, wie sonst nur im Meer. Und die Bäume? Die Bäume werden Früchte haben, zwölfmal im Jahr und sogar die Blätter kannst du noch genießen; als Heilmittel dir einen Tee machen. Dieser Strom wischt alle Leiden weg, er macht die Schöpfung neu.
Eine wunderbare Vision, die Hesekiel hier hat – und dennoch bleiben Fragen. Die erste Frage, die ich mir anhand dieser Vision stelle, lautet: Wo ist heute so ein Tempel? Wo fließt das Wasser Gottes heute? Wo müsste man hingehen und sagen: „Schau mal, da fließt Gottes Wasser!“? Bei uns Christen? Bei wem? Wer lebt aus diesem Wasser des Lebens?
Daran schließt sich gleich die zweite Frage an: Mit wie viel Wasser sind wir zufrieden? Und wie viel Wasser will Gott uns schenken? Wie viele Menschen springen vielleicht in knöcheltiefem Wasser und rufen: Hurraa, ich habe Gottes Wasser gefunden! Und wälzen sich darin und freuen sich über Gottes Wasser; und sie haben ja auch allen Grund dafür – aber das Wasser könnte tiefer sein, wenn sie nur weiter gingen! Es könnte ihnen bis an die Knie gehen oder bis an die Hüften! Ich will mich da selber gar nicht ausnehmen. Ich weiß nicht, wo ich vielleicht auch viel zu schnell aus dem Wasser herausgehe, mich ans Ufer setze und ganz beglückt bin, dass überhaupt Wasser da ist und nicht erkenne, dass es viel mehr sein könnte. Dass ich mich freue und nicht erkenne, dass Gott vielleicht noch viel mehr mit mir vorhat. Mit mir – oder durch mich – für andere!
Und die dritte und letzte Frage lautet: Alles, was lebendig wird, spendet wieder Leben. So ist das in dieser Vision. Wie ist das aber bei mir? Spende ich auch Leben? Am Beispiel des Toten Meers wird es am deutlichsten: 30% Salzgehalt hat das Tote Meer, da lebt kein Fisch, da ist keine Blume und keine Pflanze am Rand, da sind überall Schilder aufgestellt, dass man das Wasser nicht schlucken soll. Und jetzt wimmelt es vor Fischen, wo vorher der weiße Salztod gewirkt hat. Ja, alles, was Kontakt mit diesem lebendigen Wasser hat, schenkt auch andern Leben. Der Geist Gottes ist es, der das bewirkt. Gott ist es, der das Wasser lebendig macht, der diese Bäume wachsen lässt. Wenn ich doch auch so ein Baum wäre, der anderen Menschen Freiraum zum Atmen, Halt, Sinn im Leben gibt.