Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an den Streik der Fernfahrer im Jahre 1984, die über eine Zeit von zwei Wochen einen Alpenübergang sperrten und in Frankreich ein Verkehrschaos verursachten, um auf sich und ihre Situation aufmerksam zu machen. Interessant für mich, der ich damals als Aushilfe in einer Spedition arbeitete und auch mit in diesen Streik hineingeraten bin, war jedoch, dass diese LKW-Fahrer nicht - wie zu erwarten - eine bessere Bezahlung durchsetzen wollten, sondern die Einhaltung der vorgeschriebenen Ruhepausen und den Abbau von bürokratischen Hindernissen. Und wenn ein Streik berechtigt war, dann dieser. Manche Lkw-Fahrer stehen nämlich auch heute noch unter einem derartigen Zeitdruck, daß sie länger als erlaubt am Steuer sitzen müssen. Einmal abgesehen von der damit verbundenen Unfallgefahr ist eine solche Überforderung auf die Dauer auch noch gesundheitsschädlich.
Der Mensch muss nämlich von Zeit zu Zeit ausruhen, um neue Kraft zu schöpfen. Dieses natürliche Ruhebedürfnis hat Jesus anerkannt und auch seinen Jüngern zugestanden. Nach einem ausführlichen Bericht über ihre Tätigkeit sagte Jesus zu ihnen: ''Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus'' (Mk 6,31).
Nur wenn wir einen gewissen Rhythmus zwischen Aktivität und Ruhe, zwischen öffentlichem Auftreten und Rückzug in die Einsamkeit beachten, bleiben wir physisch und psychisch gesund. Letzteres ist in unserer technisch-industriellen Zivilisation besonders wichtig: die körperliche Belastung ist in vieler Hinsicht geringer geworden, da uns Geräte und Maschinen viel Arbeit abnehmen - bis hin zu Automaten, Robotern und Computern, die selbsttätig arbeiten und vom Menschen nur noch überwacht werden müssen. Und dennoch ist etwas Ungewöhnliches festzustellen: Trotz dieser vielfältigen technischen Hilfsmittel nehmen nämlich Hektik und Zeitdruck immer mehr zu.
Wir Christen sollten uns ebenfalls für mehr Ruhezonen und Ruhepausen einsetzen, damit die Menschen wieder zur Besinnung kommen und aufnahmebereit werden für die christliche Glaubensbotschaft, die als letztes Ziel die ewige Ruhe bei Gott vor Augen stellt. Was aber müssen wir feststellen? Auch die Kirchen - trotz ihres Eintretens für die Sonntagsheiligung und für die Erhaltung der Feiertage - erliegen immer mehr dem Trend zur Rationalisierung und Beschleunigung. Und zwar teils aus finanziellen Gründen, teils aus Personalmangel. In der evangelischen Kirche werden Pfarrstellen gestrichen, weil das Geld für die Besoldung fehlt; in der katholischen Kirche werden immer mehr Pfarreien zusammengelegt, weil der Priesternachwuchs zu gering ist. Dazu kommt noch die typisch deutsche Neigung zum Perfektionismus, die zahllose Konferenzen und riesige Stöße von Arbeitspapieren zur Folge hat.
Wenn sich jedoch Pfarrer, Pastoren, Gemeindeleiter und Seelsorger dem Diktat des Terminkalenders und der Uhr beugen müssen, dann berührt das den Lebensnerv der „Ekklesia“, der Gemeinde Christi, die nach den Worten Jesu nicht von dieser Welt ist und sich daher nicht den Gesetzen dieser Welt unterwerfen darf.
Ja, hier klaffen Lehre und Lebenswirklichkeit weit auseinander. Die Botschaft vom ewigen Leben bleibt nur glaubwürdig, wenn der Mensch nicht im Getriebe des Alltags aufgeht. Es würde langsam Zeit, daß wir umdenken. Deshalb gilt für uns „moderne” Menschen dieser Satz ganz besonders: ''Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus.''
Ich wünsche uns allen, dass wir immer wieder genug Zeit finden, zur Ruhe zu kommen, ruhig zu werden und auf das zu hören, was Gott von uns will.