''Kommt der Gummibaum auch mit? Bleiben die Vorhänge da?''
Es ging schon etwas turbulent zu, als mein Freund Karl umzog. Ich half ihm dabei. Er hatte sich beruflich nach Frankfurt verändert und dort endlich die passende neue Wohnung gefunden. Nun stand der Möbelwagen vor der Haustüre. Viele Freunde und Kollegen waren gekommen, um mitzuhelfen, sein gesamtes Inventar in den Lkw zu schaffen. Eine mühsame, schweißtreibende Arbeit begann. Schränke, die jahrelang behäbig in der Ecke standen, wurden zerlegt, Wandbilder von ihrem Stammplatz abgenommen, und ein gemütlicher Ohrensessel, der schon seit ewigen Zeiten links vom Fenster ''zu Hause'' war, musste sich verabschieden. Alles wurde weggebracht, demontiert, aufgelöst, umgehoben, verpackt, beschriftet, durch Türen geschoben, vorsichtig drei Treppen hinab dirigiert und auf der gepolsterten Ladefläche verstaut. Ach, was hat sich da im Laufe eines Lebens alles angesammelt: Bücher von Nietzsche, Sammelposter der Bundesliga, ein Autogramm von Helmut Kohl, Gedichte einer Schulfreundin, Terminkalender aus dem Sportverein, ein Stück Lava vom Ätna, eine Kinokarte aus Berlin, eine Kerze aus Altötting, ein rosa Liebesbrief mit Edelweiß, eine Urkunde vom Bezirks-Pokal, Omas alter Fingerhut, die ersten Milchzähne im Etui und noch vieles, vieles mehr. An jedem Exemplar hingen Erinnerungen, Vergangenheit und Gestern. Ein kleines Stück von Kindheit, Jugend und Erwachsenwerden. So, als wollte man es festhalten, einsperren und nicht verlieren. Und immer wieder kam Neues hinzu.
''Willst du diesen ganzen Kram aufheben?'' fragten fleißige Umzugshelferinnen, die am Sortieren, Abstauben und Einpacken waren.
''Hier, was ist mit dem alten Kreuz, es hat schon Flecken.'' Die ausräumende Nachbarin Susanne hob ein handgroßes Bronzekreuz hoch und winkte meinen Freund zu sich. ''Da, schau mal bitte.''
Karl stellte eine geblümte Kaffeekanne ab, die er gerade bruchfest in Zeitungspapier einwickelte, und kam näher.
''Oh - das suche ich seit Jahren. Wo hast du es gefunden?''
''Es lag dort in der untersten Schublade ganz hinten, kann ich es wegtun?''
''Nein, nein!''
''Warum willst du es denn aufheben, es hat doch überhaupt keinen Wert?''
Mein Freund Karl nahm das verstaubte Stück in die Hand und meinte nachdenklich: ''Das stimmt schon, es hat keinerlei materiellen Wert. Ich bekam es mal zu meiner Firmung. Damals hat es mir etwas bedeutet. Dann habe ich es weggelegt. Jetzt zeigt es mir wieder, wo ich herkomme – und vielleicht auch, wo ich hingehe. Bitte, pack es ein, ich nehme es mit in die neue Wohnung.''
Ich stand dabei und merkte, wie ihm eine Art Licht aufging. Er, für den beruflich nur Zahlen und Statistiken existieren, erinnerte sich plötzlich an vergangene Zeiten und verborgene Ideen.
Und Ich erkannte, dass unser ganzes Leben aus solchen Halteschlaufen besteht: aus Trödel und Erinnerung, aus Gefühl und Vision, aus Hoffnung und Bedrängnis. Und aus der heilsamen Öffnung unserer Augen zur rechten Zeit.
Ich wünsche uns allen, dass wir diese Haltepunkte in unserem Leben immer erkennen und festhalten.