Ein Bergwanderer rutschte aus und fiel von einer steilen Klippe. Den Absturz bremste ein Strauch, der an der Felswand wurzelte und an dessen Zweigen der Wanderer sich gerade noch festhalten konnte. Den Abgrund unter ihm klammerte er sich fest und rief lauthals um Hilfe - doch niemand hörte ihn. Schließlich, er war schon ganz heiser, ertönte eine Stimme vom Himmel: „Hier bin ich. Ich will Dir helfen” - und es entspann sich folgender Dialog:
„Oh, Gott sei Dank, bitte hilf mir schnell, ich kann mich nicht mehr lange halten!”
„Ja, ich helfe Dir, aber dazu musst Du mir vertrauen. Tust du das?”
„Ja, Herr, ich vertraue Dir.”
„Gut, dann lass den Strauch los!” -
Es herrschte einige Augenblicke Stille und dann ertönte die Stimme des Bergwanderers wieder - allerdings sehr zaghaft:
„Hallo? Ist da oben noch jemand?”
Was, so könnten man jetzt fragen, hat diese Geschichte mit dem Glauben zu tun? Und ich würde antworten: Sehr viel! Diese Geschichte, man könnte sie überschreiben mit dem Titel „Gottvertrauen” - und wer von uns hat es denn in seinem Leben noch nicht erlebt, dass er es am nötigen Gottvertrauen mangeln ließ, dass er zunächst auf alle möglichen Ausreden und Umwege verfiel, anstatt sich vertrauensvoll Gottes Führung anzuvertrauen?
Gott - so sagt der Volksmund - schreibt auch auf krummen Zeilen gerade. Und ich weiß es aus meiner eigenen Lebens-geschichte - Gottes Wege sind oft unergründlich. Gott lässt uns Menschen Wege gehen, die uns seltsam vorkommen, die womöglich sogar von ihm wegführen, aber in seiner Liebe und Güte bleibt er uns dabei trotzdem immer nahe und ist immer bereit, uns in die Arme zu nehmen, uns aufzufangen, uns zu stützen und zu schützen. Er verlangt eigentlich nur eines von uns - was auch in der Geschichte vom Bergwanderer zum Ausdruck kommt: Wir sollen ihm Vertrauen.
In Texas erlebte ich es: Um einen bestimmten Ort, er nennt sich Laity Lodge, zu erreichen, muss man dort durch ein Flussbett fahren. Die Straße führt einen steilen und felsigen Berghang herab hinunter in eine Schlucht und dann gera-dewegs ins Wasser hinein. Verunsichert trat ich auf die Bremse und hielt an. Ich glaubte zunächst, eine Abzweigung übersehen zu haben und sah mich um - und dann sah ich es: Direkt am Rande des Wassers befindet sich eine Hinweistafel. Und dort steht: „Es ist richtig. Sie müssen im Wasser weiterfahren.”Und während ich weiterfuhr, da dachte ich mir:
Wer sich entschlossen hat, mit Gott auch bis zum Äußersten zu gehen, wird möglicherweise eines Tages überraschend auch an eine solche Stelle kommen. Vielleicht scheint ihm das weiterfahren oder -gehen im ersten Moment dann auch unmöglich zu sein - so, wie es mir im ersten Moment an diesem Flussbett auch erschien. Und wir sehen uns dann um,
ob es nicht noch einen anderen Weg gibt. Wir suchen nach einem Ausweg. Wir nehmen Umwege in Kauf, um dem Unausweichlichen auszuweichen, um das konsequente Tun hinauszuschieben, um das Nötige Durchsetzungsvermögen,
das nötige Gottvertrauen nicht (noch nicht) zu brauchen. Aber, so dachte ich mir am Ende meiner Überlegungen, wer letztlich will, was Gott will, wer empfangen will, was Gott denen verheißen hat, die ihm vertrauen, der muss die Gefah-ren, die ihm begegnen, auf sich nehmen, der muss Risikobereitschaft zeigen, muss den Mut aufbringen, den letzten Halt loszulassen, und sich in die Arme Gottes fallen lassen.
Es gibt keinen anderen Weg.
Uns allen wünsche ich, dass wir das Wort Gottes annehmen als unsere Wegweisung und unsere Wegbeschreibung.
Vertrauen wir ihm doch. Vertrauen wir dem, der gesagt hat, „Ich bin der Weg und die Wahrheit” (Joh 14,6). Folgen wir ihm und fahren wir getrost hinein ins Flussbett. Nur so erreichen wir unsere Laity Lodge, nur so erreichen wir das Ziel unseres Lebens.