Mein rollendes Wohnzimmer

Da sitze ich nun in meinem Wohnzimmer und fahre durch die Gegend.
Wohnzimmer?
Ja, mein Auto ist mein Wohnzimmer. Viele Stunden verbringe ich darin. Wenn man so ca. 120 – 150 km pro Tag fährt, dann kommen da einige Stunden zusammen. Deswegen beschloss ich, es gemütlich einzurichten.
Bezüge, die abgewaschen werden können, Kissen, ein Blümchen auf der Konsole, ein kleines Wildschwein (Plüschtier) ist über dem Handschuhfach platziert. Für den täglichen Gebrauch gibt es alle möglichen Reinigungsprodukte, Taschenmesser, Regenschirme, Kosmetikartikel, zusätzlich Kisten, Chips für Einkaufswagen, Kühltaschen und und und.
Habt ihr euch auch schon dabei ertappt, dass ihr in andere Autos geschaut habt, weil euch interessierte, was dort drinnen ist? Es ist wie eine Visitenkarte. Von außen ist ja selbstverständlich, dass ein Image weitergegeben wird, aber innen, zeigt sich doch noch mehr die Persönlichkeit.
Es gibt die blankgeputzten, du ahnst, dass regelmäßig an Wochenenden der Putzeimer zum Einsatz kommt.
Die Spiegelverzierer, dort baumelt alles Mögliche, was Religion, Duftmarken und Souvenirs hergeben.
Dann die „normalen“, denen man den Alltag ansieht, die es gerade schaffen, das Gröbste in Ordnung zu halten.
Zum Schluss die Messies, die eine halbe Mülltonne spazieren fahren.
Doch in keine passe ich hinein. Denn ich fahre Menschen zu ihren wichtigen Terminen, begleite sie beim Einkauf, zu Ärzten, zu Behörden. Ich und viele andere, die im Moment als die systemrelevanten Kräfte zählen.
In diesem Wohnzimmer werden die Probleme des Lebens behandelt. Die Konflikte des Alltags mit den Angehörigen, den Nachbarn, den Behörden, den Institutionen kommen zur Sprache. Während wir von A nach B fahren, werden sie vorgetragen, denn jetzt kommt der Vorteil, man braucht sich nicht in die Augen sehen, man kann einfach geradeaus sehen, es ist wie ein moderner Spaziergang, man kann im Schutze des Verkehrsgeschehens seine Unsicherheiten weitergeben.
Jetzt denken sie sicher, was ist der Sinn, warum erzähle ich es. In Zeiten, wo Menschen sich nicht so gut öffnen können, sie Angst haben, über ihre Empfindungen zu sprechen, oft ja noch nicht einmal Worte dafür haben, ist es eine Möglichkeit, sein Wohnzimmer auf vier Rädern zu nutzen, einen Austausch mit anderen Menschen im geschützten Rahmen zu beginnen.

Claudia Neugebauer