Der Baum und Mauern
Das Grundstück wird von einer hohen Natursteinmauer umsäumt.
In der Mauer haben sich im Laufe der Jahre, viele verschiedene Lebewesen ihren Lebensraum geschaffen. So fleißig, wie sie darin arbeiten, haben auch Pflanzen sich im Mauerwerk ihren Platz geschaffen. Sie kommen mit wenig aus. Man könnte es auch als Nüchternheit bezeichnen. Sie brauchen zum Leben nicht viel. Ein paar Steine, Moos, luftleere Spalten, Ritzen, ein bisschen Erde. Wasser. Sonne. Genug.
Mauer bedeutet Grenze.
Es geht nicht weiter.
Wer davorsteht, kommt nicht weiter.
Es bedeutet, dass Umwege in Kauf genommen werden müssen.
Anstrengungen kommen auf einen zu.
Für Kleine gibt es noch nicht mal die Möglichkeit darüber zu schauen.
Man steht vor einer Wand.
Auch für ihn, den Baum, war es einmal so.
Er steht ungefähr zwei Meter von der Mauer entfernt.
Doch dieses Jahr ist es anders.
Dieses Jahr wird er sich erdreisten. Es wird ihm gelingen. Er wird sich nicht mehr aufhalten lassen. Längst hat er es vorgehabt. Jedes Jahr hat er sich ein bisschen mehr auf sein Ziel vorbereitet. Er hat beschlossen, sich nicht aufhalten zu lassen.
Er wird beobachtet.
Er zieht mit seinem Wachstum die Blicke seiner Menschen, die ihn gepflanzt haben, auf sich. Sogar hinter der Mauer, begleiten die fremden Menschen sein beständiges Voranschreiten.
„Der hat sich aber gut entwickelt,“ sprechen sie.
Sie nehmen Anteil.
Und dann der Durchbruch...
„Juchhu, er hat es geschafft, die ersten Äste ragen über die Mauer.“
In ein paar Jahren werden die Kinder, mit ihren geschickten Kletterkünsten, sich auf den Ästen des Baumes bewegen.
Von dort können sie über die Mauer schauen.
Je dicker die Äste werden, desto wahrscheinlicher wird es sein, dass irgendwann eines der Menschenkinder, die Mauer über die dicken Arme des Baumes erklimmt, besiegt, überwindet.
''Denn mit dir kann ich Kriegsvolk zerschlagen und mit meinem Gott über die Mauer springen.'' 2. Samuel 22.30 und Psalm 18.30