Ich bekomme mit jemandem zu tun, der mir bisher fremd war. Wir stellen uns vor. Ich nenne meinen Namen. Bevor ich seinen erfahre, höre ich erst drei Titel. Doktor ist der erste, dazu Dekan und von Adel. Ich empfinde etwas Respekt, vor allem aber Befremdung. Ja, denke ich, dieser Mensch ist schon etwas Besonderes. An den komme ich nicht so leicht heran. Die Titel sind wie Zaunlatten. Sie bauen Distanz auf zwischen ihm und mir. Sie erschweren mir, ihn näher kennenzulernen. Und mir fällt eine Parallele zum Glauben ein: Mit vielen Titeln ist mir in meiner Kindheit, wie wahrscheinlich vielen meiner Generation, auch Gott vorgestellt worden. Er ist der Allmächtige, der Allwissende, der Allgegenwärtige und ich habe gelernt, den Gott, der sich hinter diesen Titeln verbirgt, zu fürchten und was mit ihm in Verbindung gebracht wurde, zu respektieren. Jedoch ihn zu lieben mit ganzem Herzen, wie Jesus das fordert – ich muss gestehen, das fiel mir sehr sehr schwer. Die vielen Titel haben mir diesen Gott eher auf Distanz gehalten.
Erst viel später hat sich mir ein neuer Zugang zu Gott aufgetan. Ich fand ihn, als ich anfing, selbst in der Bibel zu lesen und Texte der Heiligen Schrift zu betrachten. Da fand ich dann Abschnitte, in denen mir Gott als einer der Anteil nimmt am Tun und Schicksal der Menschen gezeigt wurde. Da erkannte ich, dass Gott hört, was mich bewegt. Er engagiert sich für mich. Er hat Mitleid mit mir. Anstatt durch Titel wird Gott durch sein Tun vorgestellt und dadurch komme ich Gott näher, weil er mir als der mir Nahe vorgestellt wird.
Und dieses Mir-Nahe-Sein Gottes gipfelt in Jesus. Er bringt mir Gott so nahe, wie kein anderer das konnte und kann. Er reißt diesen Zaun von Titeln, der mir Gott so fern gehalten hat, ein. Über alle Titel, die wir Menschen Gott gegeben haben, stellt er die Anrede ''Vater''. Damit ist das Verhältnis, das der Mensch zu Gott haben kann, neu bestimmt.
Dadurch dass ich Gott auf diese Weise neu erkennen durfte, kann ich ihm vertrauen, für ihn offen sein, ihn bewundern, ihn verehren und anbeten oder, wie Jesus es fordert, mit ganzem Herzen lieben. Wer Gott kennen und lieben lernt, der kommt nicht an seiner Zuneigung für alles andere, was lebt, vorbei. Er fühlt und leidet mit den Fremden, den Verlassenen, den Ausgenützten, den Notleidenden. In Jesus ist diese Menschenliebe am deutlichsten greifbar geworden. Jesus baut die Zäune ab, die wir Menschen aufgebaut haben, um uns voneinander zu trennen - Rassenschranken, soziale und religiöse Schranken fallen dort, wo Jesus uns Gott nahebringt. Wer Gott durch Jesus so neu kennen gelernt hat, dem wird es eine Herzensangelegenheit sein, Distanzen in der Gemeinde, der Nachbarschaft oder zu Fremden abzubauen. Er wird durch sein Tun Beziehungen stiften, die etwas von Gottes Nähe zu diesem Leben erahnen lassen. Gott beurteilt den Menschen nicht nach Herkunft und Stand, vielmehr nach seinem Verhalten, und seiner Gesinnung. Und das muss Folgen für uns und unser Leben haben: Wie gehen wir Christen mit unseren Mitmenschen um? Wie gehen wir mit den Menschen um, die uns fremd sind, unheimlich, die in unseren Augen seltsame Gebräuche und Gewohnheiten haben? Ist in unserem Umgang miteinander und untereinander zu erkennen, dass wir auf den Namen Jesu getauft sind, dass wir den Namen Christi zu Recht tragen? Wenn nicht, dann wird es Zeit, dass wir unser Verhalten und unser Leben ändern.