Titus wurde von Paulus auf der Insel Kreta zurückgelassen. Dort hatten die Beiden in verschiedenen Städten mehrere Gemeinden neu gegründet. Paulus zog dann weiter, um noch mehr Gemeinden zu gründen, und ließ deshalb den Titus auf der Insel zurück, damit er dort in jeder Gemeinde nach Leute Ausschau halten konnte, die sich für das Amt der Ältesten eignen. Die Gemeinden brauchten noch eine Struktur, die es ihnen erlaubte, gesund weiterzuwachsen und sich zu multiplizieren. Auch wenn viele Menschen heute unter einer starken Strukturophobie leiden, wusste Paulus um den Wert einer starken, gesunden Gemeindestruktur, und hat deshalb den Titus mit dieser Aufgabe betraut, die man kaum unterschätzen kann. Von Anfang an kannten die christlichen Gemeinden Ämter wie die der Evangelisten, Apostel, Propheten, Pastoren, Ältesten, Diakone, und so weiter. Im Brief an Titus spielt die Ordnung eine große Rolle: Titus sollte noch alles in Ordnung bringen, aber auch verlangen, dass alle Mitglieder der Gemeinde ordentlich leben.
Interessant ist, dass Paulus hier für ''in Ordnung bringen'' ein Verb gebraucht, das wörtlich ''gerade machen'' bedeutet, aber auf Kreta noch eine andere Bedeutung hat. Es wurde in mehreren kretischen Inschriften gefunden, wo es für das Einführen von politischen Reformen steht. Paulus fordert also in den auf Kreta üblichen Worten auf, dass Titus die Gemeinden auf Kreta in dem Sinn reformieren soll, dass er überall Älteste einsetzt, die ihrerseits dann die richtigen Leute sein werden, um die Gemeinden zu stärken und in ein gesundes Wachstum zu führen. Da Kreta als große Mittelmeerinsel ein Umschlagplatz nicht nur von Waren, sondern auch von Religion und Philosophie war, war dies natürlich ein Ort, an dem Gemeinden Stärke beweisen mussten. Tag für Tag wurden neue Waren und neue Gedanken, Ideen und Visionen ein- und ausgeführt. All dies musste geprüft und vieles davon ganz klar zurückgewiesen werden. Paulus macht dies in einem späteren Abschnitt noch deutlich, wo er einen damaligen kretischen Philosophen zitiert.
Dies ist vergleichbar mit großen Städten heute. Dort schießen alle paar Wochen neue Gemeinden und Sekten aus dem Erdboden. Die Ältesten von heutigen Stadtgemeinden sind sehr gefordert, alles zu prüfen. Sie brauchen unser Gebet und unsere Unterstützung in dieser Arbeit. Noch wichtiger ist aber, dass die richtigen Leute in diesen Aufgabenbereich kommen. Titus muss schon mehrere Jahre auf Kreta gewesen sein, als ihn dieser Brief erreichte. Und noch immer hatte er nicht für jede Stadt die richtigen Leute gefunden. So schreibt ihm Paulus und erinnert ihn daran, gut aufzupassen, wen er denn da einsetzt. Lieber ein wenig länger warten und prüfen, um dann ganz sicher sein zu können, dass er die rechten Leute „erwischt“ hat. Sein Tipp ist auch für unsere Zeit wahnsinnig wichtig: Schau nicht nur auf die jeweiligen Fähigkeiten, schau nicht nur auf die Begabungen und Talente, sondern in erster Linie: Schau auf den Charakter. Prüfe gut, prüfe lang, nimm dir Zeit dazu. Schau auf die Entwicklung und auf die Reaktion in schwierigen Momenten. Schau auf den Charakter!