Vor kurzem war es wieder einmal so weit: ich benahm mich wie der Elefant im Porzellanladen und habe bei meinen Mitmenschen Scherben produziert, andere meiner Mitmenschen habe ich enttäuscht oder verletzt.
Andererseits habe ich aber auch Menschen Liebe und Zuwendung spüren lassen dürfen, und habe festgestellt, dass ich selbst von anderen Menschen gemocht, angenommen, geliebt werde.
Ich habe da Ereignisse in meiner Lebensgeschichte entdeckt, von denen ich aus heutiger Sicht heraus sagen würde, dass ich heute so manches anders machen oder mich anders entscheiden würde. Und ich habe festgestellt, dass es viele Begegnungen und Entscheidungen in meinem Leben gibt, für die ich sehr dankbar bin.
Und nun stellt sich mir die Frage:
- „Was soll ich anfangen mit diesen zwiespältigen Erfahrungen!“,
- „Wo kann ich Gottes Spuren im Wirrwarr meines Lebens erahnen?“
- „Was ist mit all dem, was ich erlebt habe?“
- „Was ist mit all dem, was ich getan habe?
- „Was ist mit all dem, was mir andere getan oder angetan haben?“
Zwei Stichworte fallen mir dazu ein: Vergeben und Vergessen, und ich möchte versuchen, mich diesen beiden uns modernen Menschen so unbequemen und unwillkommenen Worten (und Handlungen!)anzunähern: Wenn ich etwas vergessen will, dann will ich es nicht wahrhaben; ich will es wegschieben, will es verdrängen. Kurzum: Ich will einfach nicht mehr daran erinnert werden, was Unangenehmes oder Trauriges passiert ist. Manchmal ist der Weg des Vergessens zwar auf den ersten Blick der leichtere Weg, aber ich kenne es von mir selbst, dass ich einfach nicht alles vergessen kann. Erinnerungen an einen Menschen, der mich gekränkt hat, kommen immer wieder aufs Neue hoch. Gefühle von Zorn, von Enttäuschung melden sich. Es gelingt mir einfach nicht zu vergessen. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass es in solchen Augenblicken gut ist, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Gespräche mit Freunden, Seelsorgern waren mir dabei immer eine große Hilfe. Wenn es mir dann im Laufe der Zeit gelang, wenigstens ein bisschen zu erkennen, was mich da alles enttäuscht und verletzt hat, dann war dies meist der Beginn eines Prozesses, der bewirkte, dass ich ein neues Verhältnis zu mir, zu der Situation und dem Menschen, der mich gekränkt hat, bekam.
Zugegeben: Diese Beschäftigung mit sich selbst ist nicht immer leicht. Sie kann Wut und Zorn auslösen, Tränen der Trauer, Tränen der Enttäuschung mit sich bringen, aber ich glaube auch, dass diese Tränen geweint werden dürfen und dass aus ihnen auch etwas Neues hervorgeht. Ich kenne es von mir, dass ich dann frei werde von der Kränkung, dass in mir das Bedürfnis entsteht, wieder neu auf den anderen Menschen zuzugehen. Ich denke, dass ich an dieser Stelle auch das Wort Vergebung gebrauchen darf.
Vergeben hat niemals etwas mit dem einfachen Vergessen zu tun. Vergebung geschieht aus dem verwundeten Herzen heraus. Indem ich vergeben kann oder Vergebung erfahre, erfahre ich direkt die Quelle der Liebe, die es wagt das Dunkle und Traurige in meinem Leben zu verwandeln - Gott. Die Frucht der Vergebung ist neue Beziehung und Freundschaft, Dankbarkeit und Lobpreis.
Ich wünsche uns allen von ganzem Herzen, dass wir es immer wieder schaffen, den Schritt vom Vergessen hin zum Vergeben zu machen. Ich wünsche uns allen, dass wir erfahren dürfen, wie andere uns vergeben und wir die befreiende Wirkung der Vergebung spüren. Ich wünsche uns aber auch, dass wir im Gegenzug zur erfahrenen Vergebung auch den Mut und die Kraft finden, anderen die Vergebung ihrer Schuld zuzusagen.