Wir alle haben Ansprüche zu stellen. Und wie!
Auf die pünktliche Überweisung unseres Gehalts,
die prompte Erledigung unserer Rentenauszahlung,
auf die regelmäßige Lieferung unserer Zeitung,
auf die laufende Versorgung mit Strom, Wasser, Gas und Licht.
Wir reden auch nicht lange darüber, dass uns Steuerermäßigungen zustehen und das Wahlrecht in der Demokratie, der bezahlte Jahresurlaub und, weiß Gott, noch alles, was uns von Rechts wegen gewährt und eingeräumt werden muss.
In der Tat, finde ich, sind wir recht anspruchsvolle Zeitgenossen geworden. Unsere Ansprüche wachsen täglich. Mit Recht? Doch ja, immerhin – so höre ich mich im Brustton der Überzeugung sprechen - leben wir im 21. Jahrhundert und in einer Gesellschaft, die es längst gelernt hat, eine Vielzahl von an sich mitmenschlichen Verhaltensweisen und selbst von karitativen Aufgaben zu allgemeinen Bürgerpflichten und entsprechenden Rechten zu machen.
Ja, das ''Salz der Erde'' hat in zwei christlichen Jahrtausenden die Suppe der Gesellschaft durchsäuert und das ''Licht der Welt“ hat unsere Landschaften erhellt. Und das ist auch gut so. Nur, wie ist das mit den vielen anderen, die nicht in Berlin, London, Rom oder New York wohnen, sondern irgendwo im Slum von Johannesburg, in den Schilfhütten der Südsee, am Titicacasee oder den Ganges entlang? Dürfen diese Menschen auch Zeitgenossen sein? Sie leben auch im 21. Jahrhundert und sind in der Magna Charta der Menschenrechte mit gemeint. Haben sie also auch einen Anspruch auf das Dach über dem Kopf und das Bett im Krankenhaus, auf Altersversorgung, Steuerermäßigungen, sauberes Wasser und mehr als eine Handvoll Reis am Tag? Wo können diese Menschen reklamieren, weil ihre berechtigten Ansprüche auf sich warten lassen, an welchen Anwalt können sie sich wenden?
Zugegeben, das sind unangenehme Fragen. Aber sie stehen unabweisbar vor uns mitsamt unseren vollen Tellern, unseren gepflegten Wohnungen und unseren rechtsverbrieften Ansprüchen, sooft wir die Tagesschau im Fernsehen anstellen oder die Morgenzeitung aufschlagen und erst recht, wenn wir immer wieder und immer noch Eucharistie (d.h. Danksagung) feiern.
Sind wir denn wirklich ansprechbar, wir anspruchsvollen Mitbürger einer immer kleiner werdenden Welt, in der ein Viertel der Menschen auf seine Ansprüche pochen kann und drei Viertel sozusagen nur wie Bittsteller auf ihre Ansprüche aufmerksam machen können?
Natürlich kann man mich jetzt darauf verweisen, dass es immerhin Entwicklungshilfe gibt, Brot für die Welt, Adveniat, Misereor. Gewiss, all das gibt es, aber sind es nicht doch freiwillige Leistungen der einen und allzu oft enttäuschte Hoffnungen der anderen? Ansprüche sind eine Frage der Gerechtigkeit, nicht der Barmherzigkeit, und wer möchte im Ernst behaupten, dass wir die Entwicklungshilfe so ansehen? Vor allem dann, wenn jene anderen tatsächlich nicht an das ''gute Herz'' ihrer reichen Bürger appellieren, sondern als Fordernde vor die Türen der Menschenrechtler treten.
Was, so frage ich mich des Öfteren, was würde Jesus an meiner Stelle tun? Wie würde er reagieren? Und vor allem: wie wird Jesus dereinst mein Tun und Lassen oder mein Nichts-Tun und Unterlassen bewerten?