Was, so frage ich mich jedes Mal, wenn ich in der Bibel lese und der Apostel Petrus kommt vor, was war denn so besonders an ihm? Was für ein Mensch war er? Manche erklären, er sei ein Choleriker gewesen, ein Mann mit einem aufbrausenden Temperament: schnell entflammt für alles, rasch begeistert; sie sehen ihn mehr als einen, der schnell handelt, weniger als einen, der zuerst besonnen nachdenkt. Rasch zieht er das Schwert bei der Gefangennahme Jesu und verletzt einen Mann. Er will auf dem Berg Tabor gleich Hütten bauen. Er regt sich auf, als Jesus sein Leiden ankündigt: ''Herr, das darf nicht geschehen.'' Er protestiert gegen die Fußwaschung – und als Jesus darauf besteht, ist es ihm nicht genug.
Der schnell Begeisterte - das wird diesem Mann nicht gerecht. Es ist zu vordergründig. Ich sehe Petrus als einen Menschen, der alles ganz gut machen will und der sich gerade durch seine Angst zu versagen immer wieder überfordert. Nicht erst am Abend der Verleugnung bekommt er es mit der Angst zu tun. Als er wie Jesus über das Wasser gehen will, da gerät er in Angst und schreit um Hilfe. Als er mit den vielen Fischen nicht mehr fertig wird, die er gegen alle Regeln seines Handwerks fängt, ist er so außer sich, dass Jesus ihn beruhigen muss: ''Fürchte dich nicht, Petrus.''
Auf dem Weg zum Ölberg macht Jesus seine letzte Leidensankündigung: ''Ihr werdet alle zu Fall kommen, wie es geschrieben steht: Ich werde den Hirten schlagen und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen.'' Darauf reagiert Petrus sehr eigenartig: “Und wenn sie alle fallen!'' (vgl. Mt. 26,31-35)
Alle - das sind die, die gerade vor ihm und neben ihm und hinter ihm gehen, “und wenn sie alle fallen - ich nicht!'' Das hört sich überheblich an, aber muss es nicht sein. Wie oft haben wir schon gesagt: ''Ich nicht!'' - ''Das kann mir nicht passieren.'' - ''Das kommt für mich überhaupt nicht in Frage.'' Und aus eigener Erfahrungn kann ich sagen: Dieses ''Ich nicht'' bedeutet dann eher: ''Hoffentlich nicht auch ich.''
Mehr ist nämlich nicht zu sagen. Für diesen guten Willen steht die Gestalt des Petrus für mich. Diesen guten Willen hat er. Und sein guter Wille ist ehrlich.
''Ich nicht.'' – ''Herr - hoffentlich nicht auch ich.''
''Doch, Petrus, du auch. In dieser Nacht wirst du dreimal erklären, dass du mich überhaupt nicht kennst. Du wirst das sogar beeiden, Petrus.''
''Eher sterbe ich - als so etwas zu tun.''
Ist die Angst schon da? Spürt er schon, wie die Angst sich ausbreitet?
Immer, wenn Petrus auf seine eigene Kraft setzt, überfordert er sich. Als er das Schwert zieht, trägt das nichts zur Lösung bei. Und als die Angst dann vollends ausbricht, läuft er fort wie alle. Er hält es vor Angst nicht aus. Aber schon bald ist er wieder da, denn in der Sicherheit seines Verstecks hält er es noch weniger aus. Es zieht ihn zu Jesus hin. Das zeigt uns wieder sein Herz und seinen guten Willen: ''Herr, ich möchte ja, aber …!'' Und dann genügt es, dass ein paar Fremde ihn an seiner Aussprache als Jesu Jünger erkennen, dann hört er sich fluchen und schwören, dass er Jesus überhaupt nicht kennt. Was für ein Blick, als Jesus, der das hört, sich umdreht und ihn anschaut. Nein, ich möchte jetzt nicht von einem strafenden Blick sprechen. Es gibt Momente im Leben, da muss uns einer nur anschauen, das genügt.
Selten ist von Tränen die Rede in der Bibel. Von Petrus heißt es nun, er habe bitterlich geweint. Wenn wir bitterlich weinen, wissen wir nicht mehr weiter, sind wir verzweifelt, haben wir aufgehört, uns und die Welt zu verstehen. Petrus ist fassungslos über sich selbst, über die Zerrissenheit seines Herzens. Was Paulus später einmal über sich selber schreiben wird, erfährt Petrus jetzt, wie er es noch nie erfahren hatte: Ich unglücklicher Mensch. Ich tue nicht das Gute, das ich tun will. Ich tue das Schlechte, das ich nicht tun will. Wer wird mich daraus befreien?
Petrus hat viele Brüder und Schwestern. Wenn wir sein Bild sehen, erkennen wir uns. Niemand weiß, wozu er aus Angst imstande ist. Ich jedenfalls nicht. Nach der Auferstehung werden die beiden sich wiedersehen: Jesus und Petrus. Was sagt Jesus dann zu ihm? Er macht Petrus keine Vorwürfe oder Vorhaltungen, alles, was er zu sagen hat, sagt er in der einen Frage: ''Liebst du mich?'' Auf eine erschütternde und verblüffend einfache Weise zeigt uns Jesus das Geheimnis der Vergebung. Vergebung ist mehr, als dass jetzt von Bestrafung abgesehen wird. Vergebung ist mehr, als dass einer eine Erklärung abgibt, dass jetzt keine Konsequenzen mehr befürchtet werden müssen. Vergeben kommt von Geben. Das schenkt dem anderen mehr, als der durch sein Fehlverhalten verloren hatte.
Spüren wir die sonderbare Befreiung in der Frage, die allein noch zählt: ''Liebst du mich?'' - ''Herr, du weißt alles! Du weißt auch, dass ich dich liebe.'' So ist alles gut. Beides erfahren wir an Petrus: die Abgründigkeit und die Zwiespältigkeit unseres Herzens. Und dass noch tiefer die Liebe ist.
Ich wünsche uns allen, dass auch wir, wenn Jesus uns die Frage stellt ''Liebst du mich?'', antworten können: ''Herr, Du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe.”