Wenn Jesus seinen Hörern etwas verdeutlichen wollte, sprach er oft in Gleichnissen und Bildern ihres alltäglichen Lebens. Er wollte mitten in die Lebenssituation der Menschen hineinsprechen, um ihnen Hilfe und Wegweisung zu geben. Und da gibt es Bilder, die sind so eindrücklich, dass wir sie sofort vor Augen haben. Auch dann, wenn es Bilder aus vergangenen Tagen sind. Das Bild des Hirten gehört dazu. Und Jesus hat eben dieses Bild aufgenommen.
Haben uns modernen Menschen, so möchte man fragen, in unserer modernen, technisierten Welt, diese Bilder von damals eigentlich noch etwas zu sagen? Wir sehen doch, wie sehr sich unser Leben und unsere Gesellschaft verändert haben. Hirten und Schafherden kann man nur noch selten bei uns sehen.
Viele meinen, Schafherde und Mietling passen nicht mehr in unsere Gesellschaft, ja vielleicht ist der Begriff „Mietling“ jüngeren Menschen sogar ganz unbekannt. Oder aber wir verbinden mit dem Bild vom Schaf negative Erfahrungen und Aussagen. Wir denken an das schwarze Schaf in einer Familie und wir kennen die bösartige Titulierung „dummes Schaf“. Und so könnte sich vielleicht alles in uns dagegen auflehnen, wenn wir hören: Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir. Ja, eigentlich möchte heute keiner mehr als Schaf bezeichnet werden, denn all die negativen Eigenschaften eines Schafes stehen uns nur zu deutlich vor den Augen. Einfältig, ohne eigenen Willen und Durchsetzungskraft, führungsbedürftig, schutzlos, bestimmt vom Herdentrieb. Ist es so gesehen nicht sogar beleidigend, uns Menschen von heute mit Schafen zu vergleichen?
Aber andererseits: Ertappen wir uns nicht oft dabei, dass wir etwas tun, weil alle so handeln und es allgemeiner Konsens ist. Merken wir nicht manchmal, dass ein wenig vom diesem Herdentrieb auch in uns steckt?
Wenn Jesus dieses Bild des Hirten und der Schafherde aufgriff, wollte er damit etwas Positives aufzeigen und deutliche machen. Jesus hat das Bekenntnis des Psalmisten im 23. Psalm aufgenommen und hat es auf sich bezogen. Aber nicht in der Form, ich bin ein guter Hirte, sondern er sagt: Ich bin DER gute Hirte.
Steckt in diesem Anspruch nicht zugleich auch eine Warnung vor anderen Hirten, die Jesus als „Mietlinge“ bezeichnet? Sie haben den Anschein Hirten zu sein, sind es aber nicht. Das Wohlergehen der Schafe liegt einem Mietling nicht am Herzen, seine eigene Sicherheit ist es, auf die er vor allem bedacht ist.
Der rechte (gute) Hirte aber hat eine Beziehung zu seinen Schafen aufgebaut. Sie hören seine Stimme, sie folgen ihm.
Sie hören meine Stimme und sie folgen mir, sagt Jesus. Der erste Schritt zu dieser Beziehung, geht von Jesus, dem guten Hirten aus. Er gab stellvertretend für die Rettung aller sein Leben, bedingungslos, auch für die Feinde; er zeigte damit die grenzenlose Liebe, die keinen ausschließt, die aber auch alles eigene Bemühen und alle Versuche, etwas zur Rettung beizutragen, zunichte macht. Er hat uns zuerst geliebt, er bietet uns seine Nähe, seine Gegenwart, seinen Schutz und seine Liebe an und verheißt: „Ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“
Selbst in den dunkelsten Tagen und Stunden unseres Lebens gilt diese Verheißung, so wie es der Psalmist ausdrückt, denn ihm stand deutlich vor Augen, was er von diesem Herrn, diesem guten Hirten erwarten will und kann, und wir hören es staunend: keinen Mangel, frisches Wasser, grüne Auen, Führung und Leitung, Trost und Hoffnung, global gesehen, Gutes und Barmherzigkeit - und das ein Leben lang. „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, den du (der gute Hirte) bist bei mir.“